DER VERZAUBERER!
Scheiders Film über den großen deutschen Romantiker Caspar David Friedrich – die offizielle Ausstellungs-DVD in der Kunsthalle Hamburg!
Betörende Ruinen im Mondlicht, ein Segler im Sonnenuntergang, eine wilde Landschaft im Morgenlicht – Caspar David Friedrich taugt immer für ein Poster an der Wand oder bedruckte Bettwäsche. Was der Mann geschaffen hat, lockt uns wie die Bienen zum Zuckertopf. Alleine der Wanderer über dem Nebelmeer: Perfekt inszeniert, geometrisch mittig-harmonisch, wispernde Landschaften bis zum Horizont. Zuerst dachte Scheider, dieser Film wird ein Spaziergang – mit wohl gewählten Bildausschnitten und Süßholz-Musik dazu. Der erste Kunstfilm geht sicher easy peasy von der Hand – und lullt auch sofort sein Publikum ein. Naja, weit gefehlt! Das wird eine längere Geschichte…
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Who is Caspar?
Wer den Künstler googelt, findet neben den vertrauten Posen und Gemälden auch Tonnen von Infos. Geborgen in Greifswald (damals noch schwedisch!) – und gestorben in Dresden. Dazwischen ein Wanderer – der sogar bis nach Bayern kam. Aber sein Basislager – das war immer die Küste, der Norden, die mystischen Landschaften zwischen fränkischer Schweiz und Rügen.
Caspar David Friedrich hat die Romantik in Fahrt gebracht. Damit meinen wir jetzt nicht die Kuschelrock-Romantik, sondern jene Kunstrichtung, die sich nach früheren Zeiten sehnte – und im Besatzungseifer eines gewissen Napoleon das Altdeutsche zurück wünschte. Zu sehen und zu spüren eben an Ruinen, Sonnenuntergängen, Sehnsuchts-Horizonten. Caspar war und ist ein Star! Sogar Goethe hat ihn einst in seinem Atelier besucht. Und nicht nur er.
Süße Verlockungen: Caspars Bilder
Sein berühmtestes Bildnis hängt in der Hamburger Kunsthalle: Der Wanderer über dem Nebelmeer. Wie viele andere Werke auch wirft es schon von der ersten Sekunde an Zaubersternchen in den Zuschauerraum. Wie schön! Würd ich mir sofort ins Wohnzimmer hängen! Geil! Doch im gleichen Moment schnappt die Falle zu. Mit einem kleinen Kater erwachen wir – und stellen plötzlich fest: Dieses Bild (und viele andere) steht für harte, schonungslose Kritik am herrschenden System! Wie? Was? Caspar ein politischer Rebell? Oh ja.
Sieh genau hin: Der Wanderer trägt einen dunkelgrünen Samtrock – wie eh und je im guten alten Deutschland. Damals herrschte modisch aber das napoleonische Strahl-Weiß vor. Caspar zieht dem Wanderer altdeutsche Klamotten an – und tritt damit dem Kaiser ans Schienbein. Bisschen schnoddrig formuliert – aber ist das nicht ein Knüller? Schaut euch auch die anderen Bilder an. Fast immer findet ihr so eine Falle. Und fast immer schnappt sie auch zu…
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Wiege & Wissensquelle: Greifswald
Eins Sieben Sieben Vier. Das Geburtsjahr von Caspar David Friedrich in Greifswald. Der Vater: Ein Seifenmacher. In der Kirche St. Nikolai stehen im Tresor die Taufbücher aus den vergangenen Jahrhunderten. Und in einer Zeile stockt uns der Atem: 5. September 1774 Caspar David Friedrich – steht mit alter Tinte dort geschrieben. Die Geschichte haucht den vergilbten Seiten plötzlich Leben ein. Schwebend lassen wir die Steadicam-Kamera durch den Dom wandern – ein „magic moment“ entsteht.
Gleich neben dem Dom die alten Mauern von Caspars Geburtshaus. Im Keller eine Seifenwerkstatt – als hätte der Meister vor zwei Minuten seine Werkzeuge zur Seite gelegt. Allerdings – das Gemäuer ist einst abgebrannt. Wir stehen und filmen hier also im Nachfolger…
Die Crew zieht weiter – wir haben einen Termin an der Uni in Greifswald – in der alten Bibliothek. Caspar hat dort seinen Lehrer Quistorp getroffen. Mit großen Augen wandern wir an schier endlosen Reihen jahrhundertealter Bücher vorbei. Scheiders Passion für alte Schriften brennt jetzt lichterloh. Diese Vorstellung, dass vor 200 Jahren Menschen dieses Buch ebenfalls in ihren Händen hielten und darin blätterten… der Zauber wirkt!
Ein paar Straßenzüge weiter neue Seelenkitzler. Die Ruine von Eldena aus dem elften Jahrhundert. Wie ein Caspar-Gemälde. In der Morgensonne bauen wir den Kamerakran auf und lassen die Linse über die Mauerreste fliegen. Majestätisch, ruhig, erhaben. Fast hört man noch die Stimmen der Mönche vor eintausend Jahren. Aufwühlend. Und jetzt haben wir auch glasklar vor Augen, wie einst Caspar dort stand und die Ruinen für sein nächstes Bild skizziert.
Am Caspar-David-Friedrich-Weg erleben wir, wie ein Gemälde lebendig wird. Aber sowas von eins zu eins. Wiesen vor Greifswald heißt das kleine Ölbild von Caspar – und zeigt Idylle pur vor der Stadtsilhouette. Das Team sucht mit wandernden Augen, wo genau Caspar etwas gesessen haben könnte. Dann packen wir die Kamera aus und hauchen dem Kunstwerk Leben ein. Viel Unterschied gibts nicht – ein paar Baukräne vielleicht, hie und da eine Stromleitung – aber ansonsten könnte das hier gerade das Jahr 1774 sein…
Draussen Regenströme, drinnen Besucherströme
DREHARBEITEN IN HAMBURG
Hamburger Kunsthalle. Erster Stock, erster Saal, erste Begegnung mit dem Gipfelstürmer. Du erkennst ihn schon aus der Ferne. Denn der Wanderer nistet sich so schnell und heftig in Deinen Kopf ein wie die Monroe über dem U-Bahnschacht oder die Zunge von Albert Einstein. Liefen alle Gemälde der Kunstgeschichte in einer Sekunde wie ein Bildgewitter über eine Leinwand – Deine Sinneszellen würden den Wanderer bewusst herausfischen. Da war er!
Du kommst ihm näher. Nein, nicht nur ein Zugehen auf einen goldenen Rahmen. Auch kein hilfloses „den habe ich mir aber größer vorgestellt“. Es läuft ganz anders. Wenn Du vor ihm stehst, trifft Dich ein Donnerschlag. Da steht er! Nach den ersten Schrecksekunden schwebst Du benommen vor dem Bild der Bilder und versuchst, die fasrigen Gedanken zu sammeln. Der Wanderer über dem Nebelmeer! Eine Rückenfigur im dunkelgrünen Samtrock auf dem Felsvorsprung nimmt Dich mit an den Rand des Wahnsinns. Schöner Fernblick, schauriger Abgrund. Sicherer Stein, labile Zukunft. Caspar David Friedrich reisst Deine Gefühlswelt in zwei Stücke und Du musst sie zwischen vertrauter Idylle und Neuland wieder zusammensetzen. Der Wanderer. Die vielleicht perfekteste Pose, die in Öl auf Leinwand existiert.
Wer den Museums-Superstar Caspar David Friedrich zum ersten Mal entdecken will, mit dem geht der alte Meister durchaus pflegeleicht um. Er lockt mit stimmungsvollen Landschaften und spektakulären Lichtspielen. Rügen, Greifswald, Gebirge. Geile Landschaften, echt super gemalt, Titel-tauglich, Kalender-kompatibel. Gerne auch als Poster oder Puzzle. Du könntest ohne Hintersinn jede Menge Spaß an Caspar David Friedrich finden. Kunsthistoriker bitte kurz weghören – aber Expressionisten gelingt das nur selten, diese Gabe der schnellen und süßen Verlockung. Das beherrscht zunächst einmal der Landschaftsmaler.
Aber irgendwann löst Du dich vom hübschen Motiv. Und findest plötzlich die Brücke, über die alle Wander-Süchtigen schon vor Dir gegangen sind. Wehe, Du hast sie überquert. Dann ist nichts mehr wie vorher. Weit über 600.000 Menschen in Essen und Hamburg standen auf dem Felsen und blickten wort- und atemlos in das Bild hinter dem Bild. Die Romantik übermalt Deinen Horizont. Und das Leben tankt Farbe.
Insel aus Kreide: Rügen
Eines der berühmtesten Gemälde von Caspar entstand auf der Ostsee-Insel Rügen. Drei Figuren am Abgrund der Kreideküste. Er selbst, seine Frau und sein Vater angstvoll am Boden kauernd. Eine Stunde lang mit Kunstexperten am Ohr suchen wir die Stelle, an der Caspar das Bild gemalt hat. Dann stehen wir an seinem Platz. Ein ziemlich unscheinbarer Ort. Keine Tafel, kein Hinweis – nur Bäume, Gestrüpp, Kreidefelsen und ein endloser Blick auf die Ostsee hinaus. Trotzdem packt uns der Standort in der ersten Sekunde. Als stehst Du in einem lebenden Gemälde…
Da haben wir schon XXL-Glück. Am Drehtag auf Rügen liegt die Insel im schönsten Sonnenlicht. An der Victoria-Aussichtsplattform gehts steil bergab – die Kameralinse darf sich hier austoben. Die weißen Kreidefelsen strahlen in die Ferne. Zerbrechlich sind sie, Du kannst mit bloßer Hand einen Brocken abbrechen. Kein Wunder, dass Abbrüche regelmässig in den Schlagzeilen auftauchen. Manchen Kreidefels, den Caspar auf die Leinwand brachte, gibt es schon nicht mehr. Alles ist vergänglich.
Über eine endlose Holztreppe schleppen wir Kamera und Stativ hinunter zum Strand. Und schon verschwimmen die Caspar-Bilder mit den pittoresken Felsen im Ostsee-Wasser. Der Zauber geht schon wieder los. Tuuut. Ein Kutter fährt durchs Bild. Möwen lachen. Auge, Ohr und Nase saugen alles auf. Gibts was Schöneres?
Das letzte Bild: Dresden!
Unser Team macht Station in Dresden. Wir kommen am späten Nachmittag an und packen gleich die Kamera aus. Hinter der Elb-Silhouette versinkt die Abendsonne. Die Kamera fängt alles ein, läuft und läuft. Bildschön.
Auf dem alten Trinitatisfriedhof in Dresden gehen wir mit der Steadicam schwebend durchs Tor. Ein erhabener Moment. Irgendwo hier liegen die Gebeine von Caspar David Friedrich. Gestorben am 7. Mai 1840. Wir finden das Grab und stehen schweigend davor. Der Mann hat uns jetzt Monate beschäftigt und bewegt – und hier liegt er zu unseren Füßen. Auf der Grabplatte steht nicht „Caspar“ sondern „Kaspar“. Fragezeichen! Dann klärt uns die Expertin auf. Das „C“ haben die Nazis verbannt und ein „K“ machen lassen – liest sich „deutscher“. Wir schütteln den Kopf.
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Ein magischer Moment
Wir treffen einen Caspar-Kenner im Dresdner Kügelgenhaus
Das Interview lief perfekt. Dann kam die letzte Frage. Und es passierte. Dieser seltene magische Moment, der einem schier den Atem raubt. Der besonnene Wissenschaftler öffnet plötzlich seine Seele. Legt alles Fachwissen aus vielen Jahren und vielen Büchern für wenige Sekunden zur Seite und schüttet sein Herz aus. Jeder im Raum hofft, dass kein Hustenanfall oder Handyklingeln diesen Wimpernschlag der Zeit zerstört. „Ich hab‘ ein Lieblingsbild!“, flüstert das Innere von Professor Hans Joachim Neidhardt mit bebender Stimme, „und es hängt in Hamburg! Es ist der Wanderer über dem Nebelmeer!“ Der über 80jährige Gelehrte hält kurz inne.
Der Mann hat weltbedeutende Ausstellungen über Caspar David Friedrich möglich gemacht und für die Kunst Löcher in den Eisernen Vorhang gebohrt. Jetzt blickt er Dich an. Und sagt es noch einmal, als wolle er seine Silben mit einem Leuchtstift zum Glühen bringen. „Es ist mein Lieblingsbild!“ Da ist er wieder: Der Augenblick, für den alle Kunst der Welt steht. Der Schöpfer spricht zu Dir und die Seele versteht. Wärst Du jung und frech, Du würdest verzückt und mit verdrehten Augen rufen: Himmel, ich habe mich in ein Bild verknallt!
„Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Mensch bin, der nun schon auf dem Gipfel des Lebens steht. Und schon in eine andere Welt, die sich da im Nebel abzeichnet, hinüberblicke“, denkt der Professor laut und spricht es ganz leise. „Vielleicht liegt es auch daran – der Wanderer, der auf dem Gipfel angekommen ist, er schaut zurück, er schaut nach vorn und er schaut in den Nebel. Und er sieht da Berggipfel – Zeichen der Hoffnung. Und das ist für mich – und gerade für mich – etwas ganz Faszinierendes, was dieser Künstler da ausgedrückt hat! Mit dieser schlichten Figur – des Menschen auf dem Gipfel.“
Der Interviewer müsste jetzt aufspringen und „Vielen Dank!“ rufen. Aber er wartet noch. Ein paar Sekunden herrscht völlige Stille im Raum. Nur Blicke, Herzklopfen und das stille Sirren der Kamera. Pures Gipfelglück.
Die Seele am Boden.
Wanderung zum Uttewalder Grund
Was? Hier? Hier soll Deine Seele in den Abgrund stürzen und Deine Schulter die Last der Welt tragen? Hier – in dieser einer kleinen Dorf-Idylle eine Autostunde von Dresden entfernt? Du schaust Dich ungläubig um. Aber Frank Richter lächelt: Dort geht‘s lang! Also los. Wir lassen das letzte Bauernhaus hinter uns und trotten jetzt über eine hübsche Wiese. Noch gehen alle aufrecht. Noch liegt kein Friedrich in der Luft. Wo führt uns der Mann hin?
Der Malerweg-Experte vom Nationalpark Sächsische Schweiz kennt jeden Strauch, jeden Stein. Und jedes Bild. Frank Richter trägt das Gesamtwerk von Caspar David Friedrich stets bei sich. Nicht im Rucksack, sondern unauslöschlich gespeichert im Kopf und in der Seele. Ja, sagen wir’s ruhig: Er ist ein Caspar-Fan! Aber keiner, der in Caspar-Bettwäsche schläft oder beim Anblick der Frau am Fenster Urschreie ausstösst, nein, Frank Richter ist der stille Fan.
Aus dem Bauch heraus ließe sich jetzt herrlich fabulieren: Frank Richter und Caspar David Friedrich sind sich womöglich in Wellenlänge und Wesen ähnlicher als gedacht. Soweit sein Inneres. Und äußerlich? Nun, ein Wanderer eben. Leicht ergraut, aber kerngesund in der Ausstrahlung. Trägt Safari-Hose, erdfarbene Funktionsjacke mit violettem Pullover darunter und dunkelblauen Rucksack darüber. Wenn Du ihm begegnest, merkst Du das Brodeln in seiner Seele zu Caspar David Friedrich nicht. Erst wenn er Dich in den Uttewalder Grund führt, spürst Du das Fieber in Frank Richter. Und spätestens dann hängst Du für den Rest des Tages an seinen Lippen.
Ein Waldrand. Hunderte in Holz gefasster Treppenstufen liegen plötzlich vor uns. Es geht streng bergab. Ein paar Kurven, wieder neue Stufen, bizarre Stolperfallen aus grimmigen Wurzel-Armen, es wird langsam moosig und düster. Keine Gegend für melancholische Geister. Schon Caspar David Friedrich strapazierte hier vor zwei Jahrhunderten seine Nerven: „Einmal wohnte ich eine ganze Woche im Uttewalder Grund zwischen Felsen und Tannen, und in dieser Zeit traf ich keinen einzigen lebenden Menschen, es ist wahr, diese Methode rate ich niemanden, auch für mich war das schon zuviel!“ Oh ja.
Nach der Dorf-Idylle vor zehn Minuten öffnet sich jetzt ein Höllenschlund. Glitschige dunkle Felsen ragen links und rechts in den Himmel und rauben dem Licht die letzte Kraft für den ewigfeuchten Boden der Schlucht. Gottverlassen hier. Aber: Jetzt spürst Du etwas Neues. Und das ist mit nichts in der Welt vergleichbar. Caspar David ist den gleichen Weg schon vor Dir gegangen. Er stand wohl nicht minder staunend in dieser Landschafts-Wunde und skizzierte aufgeregt die unfassbaren Kunstwerke der Natur.
Frank Richter geht weiter. Bis plötzlich die Lichter ausgehen. Wir stehen im Dunkeln. Stehen gebückt im Felsentor des Uttewalder Grundes. Atemlosigkeit. Stille. Umherblicken. Tonnen von Fels lasten über Dir, über Deinem Leben. Die Natur zeigt Dir in dieser Sekunde so deutlich wie nie, wer der Stärkere ist. Und dann, dann passiert es schon wieder. Deine Sinne brodeln. Mit einem Bein stehst Du auf dem feuchten Steinboden des Felsentores. Mit dem anderen stehst Du mitten im Sepia-Blatt von Caspar David Friedrich aus dem Jahre 1801. Aber – wo stehst Du wirklich? Und ist das jetzt so wichtig?
Wer durch das Tor im Uttewalder Grund geht, passiert auch das Tor in die Vergangenheit. Ständig blickst Du Dich um und Dein Kopf malt Bilder, wie Caspar David Friedrich vor über 200 Jahren im Gehrock und mit geschnürten Wanderstiefeln die gleichen Schritte machte. Caspar liegt in der Luft. Ein Spuk, der die Seele erbarmungslos kitzelt. Lass uns gehen, bevor wir verrückt werden.
CASPAR RÄUMLICH!
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Die Bastei. Für Landschaftsmaler ein Lebenswerk.
Frank Richter lotst uns auf die Bastei zu, als ginge es an einen Würstchen-Stand. Hier, noch ein Stück weiter, so, jetzt links runter. Ahnungslos stolpern wir zwischen tausenden von Touristen voran wie Treibholz im trägen Fluss. Was wollen all die Menschen hier? Eine Massenwanderung an einem normalen Werktag! Die zurückkommen, blicken Dich verklärt an. Die mitgehen, schnattern noch über dies und das. Da vorne um die Ecke muss etwas mit all den Menschen passieren, was Worte nicht ausdrücken können. Und tatsächlich. Oh mein Gott.
Hilflos reißt Du Dir den Fotoapparat vors Gesicht und drückst hundert Mal ab. Kann es wahr sein, was Du siehst? Eine Landschaft? Nein, keine Landschaft. Sondern ein Land, dass Dich schafft. Klein und ehrfürchtig steht der Mensch auf der Basteibrücke und blickt auf einen Geniestreich der Natur. In allen Himmelsrichtungen schnappst Du nach Luft. Rechts geht es im freien Fall hunderte Meter schroff hinab, bis das Auge kopfüber in die Elbe stürzt. Sie schlängelt sich durchs Elbsandsteingebirge wie ein Spielzeugfluss. Links geht es im freien Fall in ein Meer aus Grün und nie zuvor gesehenem Grau. Die schlanken Felstürme recken sich den Wolken entgegen, als hätte ein verrückter Bildhauer des Himmels einen besonders lichten Moment erlebt. Könnte leicht als Kulisse für Karl-May-Filme durchgehen. Aber vergiss es. Das hier ist kein Film. Das ist echt. Und der Arbeitsplatz von Frank Richter.
Wie aber muss erst ein Landschaftsmaler empfinden, wenn zum ersten Mal die Bastei vor ihm liegt? Behält er einen kühleren Kopf als der normale Durchreisende? Oder droht gerade bei ihm als Künstler ein Durchbrennen aller Sicherungen?
Caspar David Friedrich schiebt langsam die Büsche zur Seite und schluckt schwer. „Wirklich pittoresk!“ flüstert er. So hieß damals das Modewort für besonders fulminante Bilderbuch-Ansichten. Sein Auge schweift weiter und bleibt am Neurathener Felsentor hängen. Unerreichbar für den Wanderer. Aber wenige Jahre vor seinem Tode soll hier eine kleine Holzbrücke entstehen. Caspar David sucht sich tastend ein Stück freien Waldboden. Er lässt sich nieder, zieht mit zitternden Händen sein Skizzenbuch aus der schweinsledernen Tasche und beginn aufgeregt zu zeichnen. Denn er weiß: Soeben hat er die perfekte Landschaft entdeckt. Sie bietet alles. „Das Erhabene. Und das Geheimnisvolle. Das Wilde. Und das Zerbrechliche“, wie Frank Richter Jahrhunderte später sagen wird. Caspar David führt den Kohlestift, bis die Schatten langsam länger werden.
Uns geht es ähnlich. Wo Du hinblickst, durchfluten Dich Reize. Sogar mit geschlossenen Augen. Aber selbst dann arbeitet es in Dir. Nun wandern wieder Friedrichs Bilder durch den Kopf und zerren an Deinem Verstand. Doch kurz vor dem emotionalen Dammbruch findest Du plötzlich einen Seelenzustand, der Dich mit einem Mal von dieser Unruhe der Urgewalten heilt. Jetzt lächelst Du sogar. Und siehst soviel mehr. Was ist passiert? Ach, es ist ganz einfach. Du hast die Demut in Dir entdeckt.
Der Fels des Wanderers. Jetzt bist Du im Bild.
Frank Richter steuert den Höhepunkt der Führung an. Eine ländliche Wohnsiedlung in Schöne neben einem frisch gepflügten Acker. Höhepunkt? Typisch Frank Richter, sinnierst Du lächelnd. Die ersten Meter unscheinbares Deutschland und dann plötzlich eine Offenbarung so gewaltig wie ein Orkan. An Garagentoren vorbei geht es auf einer kleinen Treppe einen Hang hinauf. Du hast den „Wanderer über dem Nebelmeer“ bereits auswändig gelernt, könntest den Felsen in jeder Lebenslage aus dem Kopf nachzeichnen und ertappst Dich bei manchen Warteschleifen im Leben in der gleichen Pose dastehend wie ER. Und nun? Stufe, Stufe, Stufe. Dann ein kleines Plateau. Nun den Körper um 180 Grad drehen. Und Augen auf! Na?
Du bist in der gleichen Sekunde verloren.
Da liegt er vor Dir. Der Fels. Der Gipfel. Der markante Stein, auf dem all Deine Gefühle im Museum immer kurz ruhen durften. Die Luft riecht nach Friedrich. Nach frischer Ölfarbe. Frank Richter hat Dich einmal mehr in die Falle der unendlichen Faszination gelockt. Friedrich übrigens auch. Sein Wanderer über dem Nebelmeer fühlt sich an wie dreitausend Meter Höhe – und jetzt liegt sein Gipfel keine drei Minuten von Autogaragen entfernt. Halte Dein Weltbild gut fest. Es wackelt bereits ordentlich.
Der Caspar-Experte zögert nicht lange, zerrt einen langen Stock aus dem Unterholz und beginnt zu klettern. Gut überlegt nimmt er die ausgetretenen Stufen des Gipfels, bis er oben steht. Das linke Bein leicht angewinkelt nach vorne. Der Stock rechts in die Hüfte gestemmt. Den Kopf erhaben und erhoben. Du stehst wortlos unten und versuchst zu begreifen. Keine Chance. Da oben thront ein Wanderer über dem Nebelmeer. Fels, Pose, Bild im Kopf. Die Welt steht seit wenigen Minuten still.
Dort oben auf dem Stein wirbelt ein Zauberwind, der einen goldenen Rahmen in die Luft malt. Lache nicht, sondern stell Dich selbst hin und mach Dir ein Bild. Dann wirst Du leise wieder die Treppe hinuntergehen und keine Zweifel mehr hegen: Caspar David Friedrich. Er ist der Wanderer in Deiner Seele. Und Frank Richter hat uns den Weg dorthin gezeigt.
UND JETZT VORHANG AUF…
Scheiders Film „Der Wanderer in unserer Seele“ auf YouTube!
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