ARTIKEL IN DER KULTURVISION!

BEITRAG ZU EINEM HEISSEN EISEN!


Man kann nicht nicht kommunizieren. Ein bekannter Spruch aus der Kommunikationswissenschaft – und ja, selbst mit rosa Socken zum dunkelblauen Anzug sende ich ein Signal aus – in dem Falle preise ich meine Liebe zur Farbe an. Wir kommunizieren ständig nach außen! Mit Worten, Accessoires, Mimik, Gestik, Frisur und und und. Ein falscher Satz und das Netz fliegt einem um die Ohren. Ein schräges Emoji per Whatsapp und die Freundschaft pulverisiert sich von einer Sekunde auf die nächste. Eine unpassende Geste und das wars mit der Kanzlerschaft.

Darüber ließen sich jetzt noch eine Million kluge Seiten schreiben, was Kommunikation will, soll, muss und kann. Doch Moment! In dem ganzen modernen Sound von Wutreden, Lautsprecherei und Ich-ich-ich bleibt ein Kanal erstaunlich oft unerwähnt. Fast schon vergessen. Und es ist der vielleicht wichtigste Signalweg überhaupt, weil er bei unserer Kommunikation nach außen Regie führt: Die Kommunikation nach INNEN! Ein Plädoyer von Stefan für das Magazin „Kulturvision“!

ICH MUSS MAL MIT MIR REDEN!


Plädoyer für ein fast vergessenes Kommunikations-Werkzeug

Kommunikation, Konflikt, Konfrontation. Alle drei Worte beginnen mit „K“ und „O“. Kurz: KO! Natürlich ein typografischer Zufall – aber es passt ganz gut in diese Zeit. Nach der Sendung landet eine Zuschauer-Mail bei mir: „Ich hau dir in die Fresse und ich finde dich!“ Beim Joggen im Landkreis lese ich auf einem Heuballen: „Weg mit dem Ampel-Dreck!“ Eine Gruppe von Menschen als „Dreck“ bezeichnen? Ernsthaft? Geht unsere Kommunikation langsam KO? Fühlt sich so an. Es herrscht ein Sound wie schlechter Hardrock. Zwei Dinge gehen momentan augenscheinlich verloren: Das sachliche Argumentieren und das Differenzieren.

Vor fast 40 Jahren habe ich Kommunikation zu meinem Beruf gemacht: Als Moderator vor der Kamera! Und nirgendwo lernt man schneller und schmerzhafter aus Fehlern wie in Sendungen mit einigen Millionen Zuschauern. Anfangs habe ich meine Texte noch gespickt mit Haltungen, Abneigungen oder Sympathien bei heißen Eisen – und damit Öl in viele Feuer gegossen. Dann aber die Entdeckung, die mich bis heute prägt: Wenn ich vor dem Auftritt im stillen Selbstgespräch versuche, in einem Konflikt alle Parteien (!) zu verstehen – in einem großen Kontext aus Geschichte, Politik und Wirtschaft – dann entsteht ein Momentum der Sachlichkeit und der gesunden Reflexion. Ich habe daraus eine Strategie geschmiedet.

Ich klopfe höflich bei mir selbst an und stelle kurz das eigene Wertesystem auf den Prüfstand: Ist da eventuell ein Toleranz-Schräubchen zu fest angezogen, weil mich Klimakleber sofort zur Weißglut bringen – obwohl wir laut Forschung frontal auf eine Klima-Katastrophe zusteuern? Kurz gefragt: Haben Klimakleber möglicherweise recht? Brauchen andere Schalter mal wieder etwas Schmiermittel, weil ich Konflikt-Parteien kurzatmig in „gut“ und „böse“ einteile – obwohl jede Seite ihre guten Gründe hat? Oder flutet eine schlammige „Reizblase“ aus Facebook (Corona-Leugner, Trump-Fans, Ampel-Hasser) meine Felder und ich empfinde plötzlich einen Galgen für Politiker als passendes Demo-Accessoire?

„Inneres Kamingespräch“ nenne ich dieses mächtige Werkzeug. Pro und Kontra erst einmal in ruhigem Ton mit sich selbst ausmachen. Nahost-Konflikt, Streiks, Fremdenfeindlichkeit – alles viel zu komplex für einfache Antworten oder vorschnelle Urteile. Ist Gendern wirklich eine neue Seuche? Ein gutes Beispiel! Dort draußen herrscht ein regelrechter Gender-Hass. Politiker beschließen Verbote (!) und Zuschauer*innen (Pardon!) schreiben wütende Mails, wenn jemand im Fernsehen eine Sternchen-Pause spricht. Jetzt kommt das starke Werkzeug zum Einsatz – der Gang nach innen: Ich überlege besonnen, warum es Menschen ärgert, wenn ich „Polizist-Innen“ sage? Stimmt, es ist ein neuer Klang und niemand gibt gerne liebgewonnene Hörgewohnheiten oder gut etablierte Sprachregeln auf! Gesprochene Sternchen stören eine Satzmelodie. Berechtigte Argumente. Jetzt die Gegenprobe: Mit dem Gendern berücksichtigen wir sprachlich endlich alle Geschlechter, Stichwort Gleichberechtigung. Wer gendert, zeigt sich tolerant, offen und modern, heißt es. Es gibt also gute Gründe dafür – und dagegen.

Und nach dieser stillen Abwägung im Inneren gehe ich wieder nach draußen. Baue das besonnene Pro und Kontra in meine Kommunikation ein und kleide sie mit emotionsfreien Worten. Sofort senkt sich die Lautstärke, ein zivilisierter Dialog wächst heran. Der kostenlose Zusatzgewinn: Achtung, Angstfreiheit, Souveränität! Ach und eines noch: Die Zahl der Beschwerde-Mails geht inzwischen fast gegen null.